Nein heißt Nein
— Sexuelle Handlungen gegen den erkennbaren Willen
Nein heißt Nein sollte die dem Sexualstrafrecht immanenten Beweisprobleme vereinfachen – und ist damit grandios gescheitert. Gut gemeint ist eben noch lange nicht gut gemacht!
Für den schnellen Überblick
Das komplizierte Konstrukt „Nein heißt Nein“
Durch die große Verschärfung des Sexualstrafrechts im Jahr 2016 mit „Nein heißt Nein“ ist die Struktur des § 177 StGB zu einem komplizierten Konstrukt geworden. Im Grundsatz strafbar sind danach sämtliche sexuellen Handlungen gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person. Erkennbarkeit allein reicht jedoch nicht aus, sondern der entgegenstehende Wille muss von dem Täter auch erkannt worden sein und dieser muss sich bewusst über den von ihm erkannten entgegenstehenden Willen hinweggesetzt haben.
Ein Motiv für die Neuregelung war, dass dem Opfer nicht mehr zugemutet werden sollte, erklären zu müssen, wie sie sich in der fraglichen Situation gewehrt haben will. Darauf kam es in der alten Fassung des § 177 StGB aber gar nicht an. Erst jetzt muss dem Opfer die Frage gestellt werden, wie dem „Nein“ denn Nachdruck verliehen wurde, wenn die andere Person nicht reagiert hat, denn fraglich ist ja, ob der entgegenstehende Wille erkannt wurde. Damit hat die Neuregelung die Situation in einem zentralen Punkt aus Opfersicht verschlechtert.
Der erkennbar entgegenstehende Wille
„Nein heißt Nein“ erfordert, dass der entgegenstehende Wille „erkennbar“ ist. Ausreichend soll hierfür eine verbale oder nonverbale Äußerung des Willens sein, z.B. ein Kopfschütteln, Wegdrücken oder Weinen. Problematisch kann allerdings sein, worauf genau sich eine nonverbale Äußerung bezieht, denn einem Kopfschütteln können gleich mehrere Bedeutungen zukommen: ich bin mit dieser konkreten Handlung nicht einverstanden (z.B. mit dem Küssen des Halses)* oder ich bin mit der gesamten Situation nicht einverstanden. Demgegenüber ist im Umkehrschluss natürlich nicht ausreichend, wenn eine Person nur denkt, sie wolle die Handlung nicht oder sie diese „passiv erduldet“. Das ist für den anderen nicht erkennbar.
Erkennbar ist der entgegenstehende Wille demnach, wenn dieser eindeutig feststellbar und hinreichend belegbar ist, weil er ausdrücklich oder zumindest unmissverständlich durch das eigene Handeln klargestellt worden ist. Insbesondere bei einem ambivalenten Verhalten, z.B. sexuelle Handlungen werden nach einem „Nein“ wieder aufgenommen, dann aber doch wieder (scheinbar?) abgelehnt, kann die Widersprüchlichkeit dieser Äußerungen die Erkennbarkeit erschweren oder unmöglich machen, was sich zulasten des Äußernden auswirkt.
Aussage gegen Aussage
Der Grundsatz „Nein heißt Nein“ gilt schon seit 2016 im Sexualstrafrecht. Entscheidend ist ein erkennbar entgegenstehender Wille zu bestimmten sexuellen Handlungen. Fast immer steht hier Aussage gegen Aussage.

Hochproblematisch ist auch das Fortwirken des entgegenstehenden Willens, da jeder seine Meinung ändern kann. So kann es fraglich sein, ob der einmal (vor zwei Stunden) geäußerte entgegenstehende Wille noch fortbesteht, wenn die übrigen Handlungen dies nicht deutlich (unzweideutig) erkennen lassen. Ein „Nein“ muss keine endgültige Ablehnung sein.
Der entscheidende Zeitpunkt
Entscheidend ist stets der Wille im Zeitpunkt der sexuellen Handlungen. Diesen Willen nach Stunden, Tagen, Monaten oder Jahren noch zu ermitteln, ist höchst fehlerbehaftet. Denn der Wille kann sich schon Minuten nach den sexuellen Handlungen gewandelt haben, etwa weil man den Sex hinterher bereute. Ein „Rückschaufehler“ kann dazu führen, dass wir glauben, die Handlungen nie selbst gewollt zu haben und die Zustimmung rückwirkend zu negieren.
Jeder kennt diese Erinnerungsverfälschung, wenn man sich nach dem Ende einer Beziehung fragt, warum man überhaupt so lange mit dieser Person zusammen war.
Sexueller Übergriff, § 177 Abs. 1 StGB
Der sexuelle Übergriff sanktioniert, als Grundtatbestand des § 177 Abs. 1 StGB (Vergehen!), sexuelle Handlungen gegen den erkennbar entgegenstehenden Willen einer anderen Person mit einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren.
Fehlende Willensbildungs- oder -äußerungsfähigkeit, § 177 Abs. 2 StGB
In bestimmten Konstellationen kann die Willensbildungfähigkeit bzw. die Willensäußerungsfähigkeit einer Person eingeschränkt oder gänzlich aufgehoben sein. Dies meint die Fälle, in denen es einer Person nicht möglich ist, einen entgegenstehenden Willen zu bilden oder den entgegenstehenden Willen zu äußern, entweder infolge von Alkohol- bzw. Drogenkonsum, im Schlaf, Koma usw. oder aber infolge einer Erkrankung (z.B. geistige Minderbegabung oder Demenz). Wann die Willensbildung eingeschränkt und wann gänzlich aufgehoben ist, ist eine schwierige bis unmögliche Abgrenzungsfrage, denn dies ist objektiv nicht feststellbar. Die Person muss zur Willensbildung und -äußerung jedoch „absolut unfähig“ sein, bloße Enthemmung, Verlangsamung oder Hilfsbedürftigkeit des Opfers genügen hingegen nicht.
Es entfällt in diesen Fällen folglich die Notwendigkeit der Äußerung des entgegenstehenden Willens, also des einzig objektiven Merkmals, mit der Behauptung, man sei (subjektiv) nicht (mehr) in der Lage gewesen, einen entgegenstehenden Willen zu bilden oder ihn zu äußern. Dass die Person infolge von Gedächtnislücken infolge Alkoholkonsums selbst gar nicht mehr in der Lage ist zu erinnern, was sie/er wollte, bleibt dabei in der Regel unberücksichtigt. Hingegen ist bei schlafenden Personen fraglich, ob diese erwacht sind und zur Willensäußerung dann fähig gewesen wären, dies aber aus bestimmten Gründen nicht getan haben.
Hinzutreten muss in den Fällen des § 177 Abs. 2 StGB allerdings noch die Ausnutzung der fehlenden Willensbildungsfähigkeit bzw. fehlenden Willensäußerungsfähigkeit. Hieran kann es fehlen, wenn etwa beide Partner Drogen konsumieren oder beide betrunken sind, so dass diese Situation oder Gelegenheit nicht gezielt durch eine Person ausgenutzt wird.
Die weiteren Fälle des Abs. 2 sind die Ausnutzung eines Überraschungsmoments (Nr. 3), die Ausnutzung einer Lage, in der bei Widerstand ein empfindliches Übel droht (Nr. 4) und die Nötigung oder Drohung mit einem empfindlichen Übel (Nr. 5).
Sonderfall: Stealthing
Das Stealthing – die absprachewidrige Nichtbenutzung eines Kondoms bzw. das heimliche Entfernen des Kondoms vor oder während des Geschlechtsverkehrs – ist ein Sonderfall der Handlung gegen den entgegenstehenden Willen. War für die sexuelle Handlung die Nutzung eines Kondoms vereinbart, stellt dies den erkennbaren Willen des Partners dar, da nur unter dieser Bedingung einvernehmlich sexuell verkehrt werden sollte.
Sexuelle Nötigung, § 177 Abs. 5 StGB
Die sexuelle Nötigung entspricht dem Grundtatbestand der Regelung vor „Nein heißt Nein“ (§ 177 Abs. 1 StGB a.F.) und ist ein Verbrechen (mindestens ein Jahr Freiheitsstrafe), wodurch eine Einstellung des Verfahrens (§§ 153, 153a StPO) unmöglich wird.
Der sexuelle Übergriff wird zu einer sexuellen Nötigung durch die Drohung mit Gewalt oder Anwendung von Gewalt. Die Schwelle, was Gewalt ist, liegt dabei sehr niedrig, so dass auch ein Herunterdrücken mit dem eigenen Körpergewicht schon als Gewalt gilt.
Vergewaltigung, § 177 Abs. 6 StGB
Die Vergewaltigung ist ein besonders schwerer Fall eines sexuellen Übergriffs (Abs. 1), entgegen des Wortlauts ist seit Nein heißt Nein keine Gewalt für die Vergewaltigung nötig. Für die Vergewaltigung ist eine Freiheitsstrafe zwischen zwei und fünfzehn Jahren angedroht.
Ein besonders schwerer Fall liegt (in der Regel) vor, wenn „der Täter mit dem Opfer den Beischlaf vollzieht oder vollziehen lässt oder ähnliche sexuelle Handlungen an dem Opfer vornimmt oder von ihm vornehmen lässt, die dieses besonders erniedrigen, insbesondere wenn sie mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind“ (Legaldefinition Vergewaltigung).
Kurz gesagt: ein sexueller Übergriff wird durch Eindringen in den Körper (oder vergleichbare besonders erniedrigende Handlung) zu einer Vergewaltigung. Dabei ist unerheblich, womit und in wessen Körper eingedrungen wird – erfasst sind also Oralverkehr, Vaginalverkehr und Analverkehr.
Wird ein sexueller Übergriff durch mehrere Personen gemeinschaftlich begangen, handelt es sich hierbei ebenfalls um eine Vergewaltigung.

Vergewaltigung
Der Vorwurf einer Vergewaltigung kann zutreffend aber genauso gut auch falsch sein.
Besonders relevant an diesem Tatbestand ist die Tatsache, dass sich dieser auf den Grundtatbestand in Absatz 1 (Vergehen) bezieht und demzufolge der besonders schwere Fall eines Vergehens ist (vgl. ausdrücklich § 80 Abs. 3 Nr. 2 JGG). Aus diesem Grund ist die Einstellung gemäß §§ 153, 153a StGB gesetzlich möglich.
Darüber hinaus ist auch das Regelbeispiel der besonderen Erniedrigung widerleglich.
Sie haben weitere Fragen?
Dieser Text erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit und dient einer ersten Orientierung, ersetzt aber nicht die Beratung zu „Nein heißt Nein“ durch einen Rechtsanwalt.
Was meint Nein heißt Nein?
Nein heißt Nein meint, dass sexuelle Handlungen gegen den erkennbar entgegenstehenden Willen einer anderen Person („Nein“) strafbar sind und man sich somit an dieses „Nein“ entsprechend zu halten hat.
Was meint Ja heißt Ja?
Zwar gilt „Nein heißt Nein“ derzeit noch, die Vorschrift wird jedoch in absehbarer Zeit durch „Ja heißt Ja“ verschärft werden. Dann ist vorher eine ausdrückliche Zustimmung prinzipiell zu jeder einzelnen sexuellen Handlung einzuholen.
Wo beginnt sexuelle Nötigung?
Sexuelle Nötigung beginnt, sobald eine sexuelle Handlung durch die Drohung mit Gewalt oder Anwendung von Gewalt erzwungen („abgenötigt“) wird, somit durch eine Verknüpfung von Nötigung mit sexueller Handlung.
Was bedeutet erkennbarer Wille?
Erkennbar ist der entgegenstehende Wille, wenn er eindeutig feststellbar und hinreichend belegbar ist, weil dieser ausdrücklich oder zumindest unmissverständlich durch das eigene Handeln klargestellt worden ist („Nein heißt Nein“).
Was ist Stealthing?
Stealthing ist die absprachewidrige Nichtbenutzung eines Kondoms bzw. das heimliche Entfernen des Kondoms vor oder während des Geschlechtsverkehrs und als sexueller Übergriff strafbar. War für die sexuelle Handlung die Nutzung eines Kondoms vereinbart, stellt dies den erkennbaren Willen des Partners dar, da nur unter dieser Bedingung einvernehmlich verkehrt werden sollte. Auch hier gilt „Nein heißt Nein“, also nicht ohne Kondom.
Ist Umarmen eine sexuelle Handlung?
Nein, eine sexuelle Handlung erfordert eine gewisse Erheblichkeit (§ 184h StGB), während eine Umarmung als sozialadäquat angesehen werden kann. Unter Umständen könnte diese allerdings eine sexuelle Belästigung sein.
* So war z.B. beim Fall Gina-Lisa Lohfink fraglich, ob sich ihr Kopfschütteln nur auf das Filmen der sexuellen Handlung oder auf die sexuelle Handlung insgesamt bezog.