Freispruch im Sexualstrafrecht
— Vorwurf der Vergewaltigung oder des sexuellen Missbrauchs
Jeder Angeklagte hofft auf einen Freispruch, insbesondere dann, wenn man zu Unrecht im Sexualstrafrecht beschuldigt wird, z.B. des sexuellen Missbrauchs oder der Vergewaltigung. Dabei ist der Freispruch im Strafverfahren meist nur das zweitbeste Ergebnis!
Für den schnellen Überblick
Die Wahrscheinlichkeit auf einen Freispruch vor Gericht liegt in Deutschland im einstelligen Prozentbereich, im Sexualstrafrecht allerdings deutlich höher. Wie kann das sein?
Freispruch Sexualstrafrecht
Nach wie vor sind die Beweisschwierigkeiten im Sexualstrafrecht besonders hoch, denn in der Regel waren nur zwei Personen bei Begehung der möglichen Tat anwesend, meist steht somit Aussage gegen Aussage. Hinzu kommen weitere prozessuale Probleme: das mögliche Tatopfer wird nur einmal im Ermittlungsverfahren vernommen und dann regelmäßig erst wieder in der Hauptverhandlung. Somit ist die Aussagekonstanz – das wichtigste Kriterium der Prüfung der Glaubhaftigkeit einer Aussage – überhaupt erst in der Hauptverhandlung feststellbar. Kann die Zeugin oder der Zeuge die Tat dann nicht konstant zu ihrer früheren Aussage schildern (und lässt sich dies nicht durch natürliche Vergessensprozesse erklären), steht wahrscheinlich am Ende ein freisprechendes Urteil.
Denn bei Tatvorwürfen aus dem Sexualstrafrecht geht die Aussagepsychologie davon aus, dass derart einschneidende Taten wie eine Vergewaltigung auch über lange Zeiträume besonders gut und detailliert erinnert werden. Daher verlangt auch der Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung die Prüfung der Aussagekonstanz.
Eine Hauptverhandlung wäre dementsprechend vermeidbar und die Quote der Freisprüche nicht so gravierend, wenn die Aussagekonstanz früher überprüft werden könnte. Dies wäre möglich durch eine Exploration im Rahmen eines aussagepsychologischen Gutachtens oder eine ermittlungsrichterliche Vernehmung zum Ende des Ermittlungsverfahrens (vor Anklage). Zwar bringt eine Vernehmung außerhalb der Hauptverhandlung auch Nachteile für den Beschuldigten mit sich, dennoch ließe sich damit ggf. die Hauptverhandlung vermeiden.
Freispruch Vergewaltigung
Besonders häufig ist ein Freispruch aus den genannten Gründen im Rahmen des § 177 StGB, beim Tatvorwurf sexuelle Übergriff, sexuelle Nötigung oder Vergewaltigung. Im Gegensatz zu anderen Tatvorwürfen im Sexualstrafrecht steht hier fast immer Aussage gegen Aussage und es kommt zudem besonders oft zu einer (un)bewussten Falschbeschuldigung.
Im Jahr 2013 wurde dies eingehend untersucht für den Freispruch vom Tatvorwurf der Vergewaltigung nach Untersuchungshaft.1 Diese Verfahren sind besonders interessant, denn in diesen muss der Tatverdacht dringend gewesen sein, dennoch stand bei einem Viertel (25%) der 300 untersuchten Verfahren am Ende ein freisprechendes Urteil.
Nur das zweitbeste Ergebnis?
Bei aller Euphorie, ein Freispruch ist oft nur das zweitbeste Ergebnis. Besser wäre gewesen, es hätte erst gar keine Hauptverhandlung gegeben, die für alle Beteiligten sehr belastend und für den Angeklagten außerdem besonders kostenintensiv ist.
Daher ist die Einstellung mangels Tatverdacht im Ermittlungsverfahren das beste Ergebnis. Zu beachten ist insbesondere, dass auch gegen freisprechende Urteil ein Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft oder der Nebenklage eingelegt werden kann, so dass dieses Urteil vorerst nicht rechtskräftig wird. Es schließt sich möglicherweise so eine Berufungsverhandlung bzw. Revisionshauptverhandlung an, in der das freisprechende Urteil überprüft wird.
Daher kann es strategisch sinnvoll sein, die Hauptverhandlung eher auf eine Einstellung gemäß § 153a Abs. 2 StPO hin auszurichten. Das Strafverfahren wird dadurch praktisch abgekürzt, es erfolgt dann keine Schuldfeststellung, der Angeklagte gilt weiterhin als unschuldig. Da die Staatsanwaltschaft (nicht die Nebenklage) dieser Verfahrensbeendigung zustimmen muss, ist kein Rechtsmittel zulässig. Das Verfahren ist durch die Einstellung – nach Erfüllung der zusammen mit der Einstellung ggf. erteilten Auflage – endgültig beendet.

Sexualstrafrecht: Freispruch!
Sie sind zu Unrecht angeklagt? Steht die Hauptverhandlung zeitnah bevor? „Zweite Meinung“ von spezialisiertem Anwalt für Sexualstrafrecht.
Freispruch erster und zweiter Klasse
Oft ist von einer Einteilung in Freispruch erster oder zweiter Klasse zu hören oder zu lesen. Ob dieser aus rechtlichen bzw. tatsächlichen Gründen oder „aus Mangel an Beweisen“, also nach dem Zweifelssatz („in dubio pro reo“) ergeht, ist im Ergebnis ohne Belang. Der eine ist nicht weniger oder mehr wert als der andere.
- Kinzig/Stelly: Neue statistische Analysen zum Freispruch (nach Untersuchungshaft), StV 2017, 610 (zum Sexualstrafrecht a.F. vor „Nein heißt Nein“) ↩︎