Falschbeschuldigung in Zahlen (Statistik)

Die Anzahl der Falschbeschuldigungen im Sexualstrafrecht zu bestimmen ist nicht möglich, denn es weiß nur die anzeigende Person, ob der Vorwurf zutrifft oder nicht – und manchmal nicht einmal die (Stichwort: falsche Erinnerungen). Deshalb kann es vernünftigerweise auch keine offizielle Statistik zu der Quote von Falschbeschuldigungen geben.

Dennoch oder gerade weil es keine „offizielle“ Statistik gibt oder geben kann, kursieren viele offensichtlich falsche Zahlen und Fehlinformationen.1

Falschbeschuldigungen Statistik: Lügen nach Zahlen

Statistik: „Lügen nach Zahlen“

Der „Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe“ (bff) macht sich die Welt, wie sie ihm gefällt und die Zahlen, die zu der Kampagne passen gleich dazu. Glaube keiner Statistik …

Lügen nach Zahlen

In der „ZEIT“ (Ausgabe 18/2017) gingen die Journalist:innen der Frage nach, ob es stimmen kann, dass nur 8,4 % der Frauen, die nach einer Vergewaltigung den Täter anzeigen, auch dessen Verurteilung erleben. Anders formuliert: 91,6 % aller Vergewaltiger kämen ungestraft davon. Genauso fraglich ist, wie viele Falschbeschuldigungen es bei Sexualstraftaten gibt. Einer europäischen Studie nach sollen es in Deutschland nur 3 % Falschbeschuldigungen sein. Kann diese Zahlen wirklich stimmen?

Nur 3% Falschbeschuldigungen?

Sieht man sich die Studie2 einmal näher an, ist sofort offensichtlich, dass die Angabe nicht stimmt. Schon methodisch ist die Untersuchung zweifelhaft, denn es wurden lediglich 100 Akten der Staatsanwaltschaft Stuttgart untersucht. In 3 Fällen der 100 Verfahren wurde ein Ermittlungsverfahren wegen falscher Verdächtigung nach Abschluss der Ermittlungen eingeleitet, so dass die Schlussfolgerung war, nur in diesen 3% gehe die Strafanzeige auf eine Falschbeschuldigung zurück. Demgegenüber wurden 45 der 100 untersuchten Ermittlungsverfahren mangels Tatverdacht eingestellt.

Abgesehen von der äußerst kleinen und nicht repräsentativen Stichprobe, wurde nicht näher untersucht, warum knapp die Hälfte der Verfahren mangels Tatverdacht eingestellt wurden. Dass in 3 Fällen ein Verfahren gegen die/den Anzeigeerstatter:in eingeleitet wurde, heißt ja nur, dass die Staatsanwaltschaft in diesen Fällen hinreichende Anhaltspunkte für eine Straftat hatte, die in den 45 anderen Fällen fehlte. Ob denen auch eine Falschbeschuldigung zugrunde lag, ist nie aufgeklärt worden.

Als Strafverteidiger weiß man aus eigener Erfahrung, wie schwierig es ist, die Staatsanwaltschaft auch in klaren Fällen dazu zu bewegen, ein Ermittlungsverfahren gegen die Anzeigeerstatterin oder den Anzeigeerstatter einzuleiten, wenn sich deren Beschuldigung als falsch erweist. Diese 3 Fälle müssen sehr offensichtlich oder besonders strafwürdig gewesen sein, vielleicht gab es auch ein Geständnis der falschen Verdächtigung. Die Schlussfolgerung, es gebe unter den angezeigten Sexualdelikten in Deutschland nur 3% Falschbeschuldigungen, ist nach alledem höchst fragwürdig bis ersichtlich abwegig.

Schon eine Erweiterung von den in der Stichprobe lediglich untersuchten Vergewaltigungen auf das gesamte Sexualstrafrecht, ist nicht nur methodisch unzulässig, sondern denklogisch falsch. Nicht berücksichtigt wird, dass Falschbeschuldigungen etwa wegen eines sexuellen Missbrauchs von Kindern nach der Trennung im Streit um das Sorge- bzw. Umgangsrecht ganz erheblich sind. Der Vorsitzende des Familiengerichtstags wird zitiert, dass bereits in jeder zweiten familiengerichtlichen Auseinandersetzung nach der Trennung der Vorwurf des sexuellen Missbrauchs erhoben wird, wobei zuzugestehen ist, dass auch diese Anmerkung keine belastbare Statistik darstellen wird.

Nur 8,4% Verurteilungen nach einer Vergewaltigung?

Die Zweifel sind hier offensichtlich, denn es wäre ein Armutszeugnis für die deutsche Justiz! Und so deckt der Bericht zu der vermeintlichen Statistik auf:

Aufgestellt hatte diese abwegige Behauptung der „Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe“ (bff) in ihrer Kampagne „Vergewaltigung verurteilen“ unter Verweis auf eine Pressemitteilung des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen (KFN). Teil der Kampagne war auch eine Hochrechnung auf die angebliche „Dunkelziffer“ nicht angezeigter Vergewaltigungen4, um die Zahlen der Statistik überhaupt skandalisieren zu können.

Und als ob das nicht noch alles schlimm genug wäre, greifen die Professorinnen Elisa Hoven (Universität Leipzig) und Frauke Rostalski (Universität Köln) diese ersichtlich abwegigen und methodisch unzulässige „Statistik“ auf5 und tragen dadurch zu deren Legitimation bei.

Fehlende Statistik: Das sagen die Experten

Mangels verlässlicher Statistiken, fragt man diejenigen, die täglich mit Sexualstraftaten zu tun haben. So zitiert eine Untersuchung von Elsner/Steffen6 einen Kommissariatsleiter:

Alle Sachbearbeiter von Sexualdelikten sind sich einig, dass deutlich mehr als die Hälfte der angezeigten Sexualstraftaten vorgetäuscht werden. Viele angezeigte Fälle lassen zwar die Vermutung einer Vortäuschung bzw. falschen Verdächtigung zu, berechtigen jedoch nicht zu einer entsprechenden Anzeige.“

Elsner/Steffen: Vergewaltigung und sexuelle Nötigung in Bayern, Seite 177

Dementsprechend werden Fälle nur dann nach § 145d StGB als vorgetäuschte Straftat oder nach § 164 StGB als falsche Verdächtigung zur Anzeige gebracht, wenn das vermeintliche Opfer gesteht, den Sachverhalt falsch geschildert zu haben, oder die Beweislage insgesamt eindeutig gegen die Aussagen des angeblichen Opfers spricht.

Prof. Dr. Klaus Püschel, ehemaliger Direktor am Institut für Rechtsmedizin (UKE Hamburg) hatte für das Jahr 2009 folgendes untersucht: Bei insgesamt 132 untersuchten Patientinnen hielten die Rechtsmediziner die Verletzungen in 27 % der Fälle für selbst beigebracht, in 33 % für echt, und in 40 % hielten sie beides für möglich. Demzufolge sind mindestens etwa ein Drittel der Fälle „eher vorgetäuscht“, das Verletzungsbild lasse sich also nicht mit der Tatschilderung vereinbaren oder die Verletzungen imponieren als selbst beigebracht.

Das Institut für Rechtsmedizin Essen wertete 93 Strafverfahren gegen die sexuelle Selbstbestimmung aus den Jahren 2000 bis 2011 aus und fand 11 Fälle, in denen die angeblichen Opfer sich ihre Verletzungen selbst beigebracht hatten, was 12 % entspricht. Dies bestätige die Erfahrungen der Rechtsmedizin Essen, wonach sich in 10 bis 15 Prozent der Sexualstraftaten die angeblichen Opfer ihre Verletzungen selbst zufügten und unschuldige Personen der Tat bezichtigen. Allerdings werde das Institut auch nur in 12 % der dortigen Sexualstrafverfahren hinzugezogen.

Prof. Dr. Günter Köhnken, em. Professor für Rechtspsychologie der Universität Kiel, zählt zu den renommiertesten Aussagepsychologen und schätzt in den von ihm zu begutachtenden Fällen die Quote der Falschbeschuldigungen auf etwa 30% bis 40%. Sein Kollege, Prof. Dr. Max Steller (FU Berlin) konstatierte schon 2007, Falschbeschuldigungen seien keine kleinen Zahlen mehr, niemand wisse zwar genau, wie viel Prozent die Fehlverurteilungen ausmachen und wie viele Unschuldige im Gefängnis sitzen, aber das Dunkelfeld sei erheblich.7

Wenn also mindestens ein Drittel der angezeigten Sexualstraftaten unbewusste oder bewusste Falschbeschuldigungen sind, sollte dies in der Justiz eigentlich zu einem Umdenken führen. Dies fordert auch Prof. Dr. Tonio Walter:

Polizisten, Staatsanwälte und Richter müssen die Unschuldsvermutung bei Sexualdelikten wieder ernster nehmen.

Tonio Walter, Professor für Strafrecht (Universität Regensburg), Richter am BayOLG

Dass Falschbeschuldigungen im Sexualstrafrecht häufiger vorkommen als gemeinhin angenommen, offenbart nicht zuletzt unsere Presseschau. Darin veröffentlicht unsere Kanzlei seit 2018 Medienberichte von Falschbeschuldigungen, die sie systematisch sammelt, auswertet und dokumentiert. An die 100 Berichte sind inzwischen dort erfasst.

Presseschau in Social Media: Vergewaltigung erfunden? Fälle von Falschbeschuldigungen abseits der Statistik

Presseschau in Social Media

Seit 2018 sammelt unsere Kanzlei Presseberichte, zunächst nur in unseren Social Media Networks, die wir hier für weitere Informationen verlinken.

  1. Lesenswert hierzu: Walter: Die feministische Staatsanwältin (Anm. zu BGH 5 StR 473/23), in: JZ 2024, 1044 ↩︎
  2. Seith/Lovett/Kelly: Strafverfolgung von Vergewaltigung in elf europäischen Ländern (2009) ↩︎
  3. Elz: Verurteilungsquoten und Einstellungsgründe. Was wissen wir tatsächlich?, in: Kriminologie und Praxis ; Band 72 (2017) ↩︎
  4. Woher diese „Dunkelziffer“ stammt, bleibt unklar. 2004 gab es eine repräsentative Studie (Schröttle/Müller für BMFSFJ), in der 10.264 Frauen zu sexuellen Gewalterfahrungen im Alter ab 16 Jahren befragt wurden. Danach waren 5,5% Opfer einer vollendeten Vergewaltigung, 4,3% einer versuchten Vergewaltigung, 5,4% wurden zu intimen Körperberührungen gezwungen und 3% zu anderen sexuellen Praktiken. Insgesamt gaben 11% an, sexuelle Gewalterfahrungen in ihrem Leben gemacht zu haben. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass hier auch Frauen bis 85 Jahren befragt wurden, für die ihre Lebensrealität noch eine komplett andere war als heute. Diese Zahlen decken sich in etwa mit einer europaweiten Erhebung (FRA 2014). ↩︎
  5. Hoven/Rostalski: Zu viele Emotionen?–Zur strafrechtlichen Debatte über sexuelle Übergriffe und
    Falschbeschuldigungen, in: JZ 2024, 1084 wiederholen sie die angeblich 3% Falschbeschuldigungen. ↩︎
  6. Elsner/Steffen: Vergewaltigung und sexuelle Nötigung in Bayern (2005) ↩︎
  7. Rückert: Unrecht im Namen des Volkes (2007), S. 89 f. ↩︎
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