Borderline und Falschbeschuldigung

Die Borderline-Störung, genauer gesagt die emotional instabile Persönlichkeitsstörung vom Borderline Typ (ICD-10: F60.31), kommt im Zusammenhang mit einer Falschbeschuldigung im Sexualstrafrecht gehäuft vor. Als Grund hierfür wird eine schwächer ausgeprägte Fähigkeit zur Wirklichkeitskontrolle (Realitätskontrolle) angeführt.1

Eine Falschbeschuldigung scheint zunächst völlig fernliegend, weil sie einen nahestehenden Menschen trifft, wodurch sie ihre zerstörerische Kraft durch hohe Glaubwürdigkeit entfaltet, insbesondere da kein Motiv für eine falsche Verdächtigung ersichtlich ist.

Oft richtet sich die Anschuldigung gegen den Vater, Bruder, Onkel oder (Ex-) Lebenspartner, denen nicht selten schlimmste Sexualstraftaten vorgeworfen werden. Aufgrund ihrer hohen manipulativen Kompetenz wird der Borderlinerin oft geglaubt, auch wenn die Schilderungen noch so abstrus und abenteuerlich klingen.

Was ist eine Borderline-Persönlichkeitsstörung?

Persönlichkeitsstörungen sind psychische Auffälligkeiten, die bei Menschen mit Borderline in deutlich stärkerem Ausmaß vorliegen als bei gesunden. Der Borderline-Typ beschreibt eine Untergruppe der emotional instabilen Persönlichkeitsstörung: die Menschen mit emotional instabiler Persönlichkeit handeln oftmals impulsiv, ohne Rücksicht auf Verluste und blenden mögliche Konsequenzen ihres Handelns aus. Wechselnde Stimmungslagen bestimmen ihren Alltag, ohne konkreten äußeren Anlass wechselt die Gemütslage – von jetzt auf gleich – von „himmelhoch jauchzend“ in „zu Tode betrübt“.

Die Instabilität zeigt sich regelmäßig auch in den persönlichen Beziehungen, insbesondere in sexuellen Partnerschaften. Diese verlaufen intensiv, ebenso schnell wechselnd, auch hier kommt es schnell zu Um- und Neubewertungen von Personen. Der heute noch innig geliebte Vater oder Partner wird morgen als Feind wahrgenommen, der bekämpft werden muss.

Borderline-Persönlichkeitsstörung: Glaubhaftigkeit von Zeugen bei Aussage gegen Aussage bei Falschbeschuldigung Vergewaltigung sexueller Missbrauch

Sie werden falsch beschuldigt?

Die Borderline-Persönlichkeitsstörung kommt in Strafverfahren wegen Vergewaltigung oder sexuellem Missbrauch sehr gehäuft vor. Nicht selten stellt sich diese später dann als Falschbeschuldigung heraus.

Die Hauptproblematik besteht in der Unpopularität dieser Diagnose, häufig werden andere Ursachen für das auffällige Verhalten verantwortlich gemacht, depressive Episoden oder insbesondere angebliche traumatische Erlebnisse, die zur Diagnose der posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) führen. Bei Jugendlichen wird die Diagnose Borderline (noch) gar nicht gestellt, bei Erwachsenen Personen oftmals nicht oder erst sehr spät. Dadurch wird die Diagnose auch im Strafverfahren verkannt, so dass den Zeugen vorbehaltlos geglaubt wird.

Borderline und selbstverletzendes Verhalten

Auffällig und nicht selten einziger Anhaltspunkt in den Akten für eine Persönlichkeitsstörung ist das selbstverletzende Verhalten, insbesondere durch „Ritzen“ oder suizidales Verhalten. Dies hat den Bundesgerichtshof zu der ungewohnt deutlichen Feststellung veranlasst:

Selbstverletzendes Verhalten ist in der Regel Ausdruck einer Borderline-Persönlichkeitsstörung.

BGH, Beschluss vom 06.02.2002 – 1 StR 506/01

Demzufolge geben derartige Verletzungen regelmäßig Anlass dazu, die Glaubhaftigkeit des Zeugen untersuchen zu lassen. Hierfür ist von dem zuständigen Gericht oder bereits von der Staatsanwaltschaft ein psychiatrischer Sachverständiger hinzuzuziehen:

Das Gericht kann sich bei der Beurteilung von Zeugenaussagen grundsätzlich eigene Sachkunde zutrauen. Etwas anderes gilt aber, wenn besondere Umstände vorliegen, deren Würdigung eine spezielle Sachkunde erfordert, die dem Gericht nicht zur Verfügung steht (hier: tatzeitnahe Selbstverletzungen und Suizidalität, die auf eine Persönlichkeitsstörung hindeuten können).

Besondere Umstände können etwa gegeben sein, wenn Tatsachen auf eine Persönlichkeitsstörung eines Zeugen hindeuten, die wiederum einen Einfluss auf seine Aussagetüchtigkeit möglich erscheinen lässt. Da die Diagnose einer Persönlichkeitsstörung und die Beurteilung ihrer Auswirkungen auf die Aussagetüchtigkeit des Zeugen spezifisches Fachwissen erfordert, das nicht Allgemeingut von Richtern ist, bedarf die eigene Sachkunde in einem solchen Fall näherer Darlegung.

BGH, Beschluss vom 28.10.2009 – 5 StR 419/09

Daher wird die eigene Sachkunde des Gerichts in diesem besonderen Fall nicht ausreichen, so dass sich das Gericht – und im Ermittlungsverfahren die Staatsanwaltschaft – veranlasst sehen sollte, einen psychiatrischen Sachverständigen hinzuzuziehen, während Auswirkungen auf die Aussageentstehung und -entwicklung in das Gebiet eines Rechtspsychologen (Aussagepsychologen) fällt:

Namentlich solche Entwicklungs- und Verhaltensauffälligkeiten, die nach den gängigen Diagnose-Instrumentarien auf das Vorliegen einer so genannten Borderline-Persönlichkeitsstörung hinweisen können, könnten Anlass sein, die psychischen Aussagegrundlagen mit Hilfe eines geeigneten, in der Regel psychiatrischen Sachverständigen näher zu untersuchen.

Für die Beurteilung, ob und in welcher Ausprägung eine solche Störung vorliegt und wie sie sich auf Aussageentstehung und -qualität ausgewirkt haben könnte, wird, wenn erhebliche Anhaltspunkte für Auffälligkeiten vorliegen (hier: Häufige Selbstverletzungen mittels Schneiden zur „Entlastung“ bei Problemen), in der Regel die eigene Sachkunde des Gerichts nicht ausreichen.

BGH, Urteil vom 12.08.2010 – 2 StR 185/10

Borderline und Vorwurf der Vergewaltigung

Frauen mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung erleben in sexuellen Situationen häufiger dissoziative Symptome, dazu gehören beispielsweise Derealisation oder Depersonalisation, also eine veränderte Wahrnehmung des eigenen Körpers oder ihrer Umwelt, aber z.B. auch Konversionssymptome, d.h. körperliche Beschwerden ohne organischen Grund.2 Zudem wird bei Betroffenen häufig selbstschädigendes und impulsives Sexualverhalten beobachtet, was ein sexuelles Risikoverhalten beinhaltet und bewusst zur Schwächung der selbstbestimmten Sexualität führt. Dies könnte erklären, dass an sich einvernehmliche Sexualkontakte von den Betroffenen als nicht einvernehmlich und somit als Vergewaltigung erlebt werden.

Diagnose einer emotional-instabilen Persönlichkeitsstörung

Die Diagnose der emotional instabilen Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typ (ICD-10: F60.31) weist wegen der damit einhergehenden Symptomatik bereits einige Besonderheiten auf, die für eine aussagepsychologische Begutachtung relevant sein können.

Eine Persönlichkeitsstörung kennzeichnet ein stabiles, überdauerndes Muster mit Beginn in der Adoleszenz oder frühen Erwachsenenalter. Dadurch kann diese Diagnose grundsätzlich nicht im Jugendalter gestellt werden, da sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht absehen lässt, ob es sich um ein überdauerndes Muster handelt.

Nach der Definition DSM-53 handelt es sich um ein tiefgreifendes Muster von Instabilität in zwischenmenschlichen Beziehungen, im Selbstbild und in den Affekten sowie von deutlicher Impulsivität, für dessen Diagnose fünf der neun folgenden Kriterien vorliegen müssen:

Kriterien für die Diagnose einer Borderline-Störung (DSM-5)
  1. Verzweifeltes Bemühen, tatsächliches oder vermutetes Verlasseneren zu vermeiden,
  2. ein Muster instabiler, aber intensiver zwischenmenschlicher Beziehungen, das durch Wechsel zwischen den Extremen Idealisierung und Entwertung gekennzeichnet ist,
  3. Identitätsstörung, d.h. ausgeprägte und andauernde Instabilität des Selbstbildes oder der Selbstwahrnehmung,
  4. Impulsivität in mindestens zwei potenziell selbstschädigenden Bereichen (Ausgeben von Geld, Sexualität, Substanzmissbrauch, rücksichtsloses Fahren, Fressanfälle),
  5. wiederholte suizidale Handlungen, Sudizidandeutungen oder -drohungen oder selbstverletzendes Verhalten,
  6. affektive Instabilität infolge einer ausgeprägten Reaktivität der Stimmung (z.B. hochgradige episodische Dysphorie, Reizbarkeit oder Angst, wobei diese Verstimmung gewöhnlich einige Stunden und nur selten mehr als einige Tage andauern),
  7. chronisches Gefühl von Leere,
  8. unangemessene und heftige Wut sowie Schwierigkeiten, diese Wut zu kontrollieren (z.B. häufige Wutausbrüche, wiederholte körperliche Auseinandersetzungen),
  9. vorübergehende durch Belastungen ausgelöste paranoide Vorstellungen oder schwere dissoziative Symptome.

Das Alternativmodell des DSM-5 schlägt dagegen folgende diagnostische Kriterien vor:

Kriterien für die Diagnose einer Borderline-Störung (DSM-5 Alternativmodell)

A. Mittelgradige oder stärkere Beeinträchtigung im Funktionsniveau der Persönlichkeit, die sich durch typische Schwierigkeiten in mindestens zwei der folgenden Bereiche manifestiert:

  1. Identität: Deutlich verarmtes, wenig entwickeltes oder instabiles Selbstbild, oft mit exzessiver Selbstkritik; chronische Gefühle von innerer Leere; durch Belastung ausgelöste dissoziative Symptome.
  2. Selbststeuerung: Instabilität in Zielsetzungen, Vorlieben, Wertvorstellungen und beruflichen Plänen.
  3. Empathie: Eingeschränkte Fähigkeit, die Gefühle und Bedürfnisse anderer Personen zu erkennen, verbunden mit zwischenmenschlicher Überempfindlichkeit (beispielsweise eine Neigung, sich geringgeschätzt oder beleidigt zu fühlen); die Wahrnehmung anderer fokussiert auf negative Eigenschaften oder Vulnerabilitäten.
  4. Nähe: Intensive, aber instabile und konfliktreiche enge zwischenmenschliche Beziehungen, die durch Misstrauen, Bedürftigkeit und ängstliche Beschäftigung mit tatsächlichem oder vermeintlichem Verlassenwerden gekennzeichnet sind; nahe Beziehungen werden oftmals in Extremen von Idealisierung und Abwertung erlebt und alternieren zwischen Überinvolviertheit und Rückzug.

B. Mindestens vier der folgenden sieben problematischen Persönlichkeitsmerkmale, wenigstens eines davon ist (5) Impulsivität, (6) Neigung zu riskantem Verhalten oder (7) Feindseligkeit.

  1. Emotionale Labilität: Instabiles emotionales Erleben und häufige Stimmungswechsel; heftige Emotionen bzw. Affekte sind leicht stimulierbar, hochgradig intensiv und/oder unangemessen hinsichtlich situativer Auslöser und Umstände.
  2. Ängstlichkeit: Intensive Gefühle von Nervosität, Anspannung oder Panik, oft ausgelöst durch zwischenmenschliche Spannungen; häufige Sorge über negative Auswirkungen vergangener unangenehmer Erlebnisse und über mögliche negative Entwicklungen in der Zukunft; ängstliche Gefühle, Besorgnis oder Bedrohungsgefühl bei Unsicherheit; Angst vor psychischem Zerfall oder Verlust der Kontrolle.
  3. Trennungsangst: Angst vor Zurückweisung und/oder Trennung von wichtigen Bezugspersonen, begleitet von Furcht vor übermäßiger Abhängigkeit und komplettem Autonomieverlust.
  4. Depressivität: Häufige Niedergeschlagenheit, Sich-elend-Fühlen und/oder Hoffnungslosigkeit; Schwierigkeit, sich von solchen Stimmungen zu erholen; Pessimismus hinsichtlich der Zukunft; tiefgreifende Schamgefühle; Gefühl der Minderwertigkeit; Suizidgedanken und suizidales Verhalten.
  5. Impulsivität: Handlungen erfolgen Hals über Kopf als unmittelbare Reaktion auf einen Auslöser, sie sind vom Augenblick bestimmt, ohne Plan oder Berücksichtigung der Folgen; Schwierigkeiten, Pläne zu entwickeln und zu verfolgen; Druckgefühl und selbstschädigendes Verhalten unter emotionalem Stress.
  6. Neigung zu riskantem Verhalten: Ausübung gefährlicher, risikoreicher und potenziell selbstschädigender Handlungen ohne äußere Notwendigkeit und ohne Rücksicht auf mögliche Folgen; Mangel an Bewusstsein für die eigenen Grenzen und Verleugnung realer persönlicher Gefahr.
  7. Feindseligkeit: Anhaltende und häufige Gefühle von Ärger; Ärger oder Gereiztheit bereits bei geringfügigen Kränkungen oder Beleidigungen.

Problematisch ist jedoch, wie zuvor dargestellt, die Unpopularität dieser Diagnose, so dass diese noch nicht aktenkundig ist und zwar oftmals selbst dann nicht, wenn die Person in der Vergangenheit bereits häufiger stationär in psychiatrischer Behandlung war. Deshalb ist die Hinzuziehung eines psychiatrischen Sachverständigen wichtig zur Diagnose der Borderline-Persönlichkeitsstörung, was aber im Strafverfahren allzu zurückhaltend geschehen wird. Zur Begründung eines entsprechenden Antrags kann es hilfreich sein, mit den Symptomen bzw. typischen Begleiterkrankungen zu argumentieren.

Typische Begleiterkrankungen

Die Borderline-Persönlichkeitsstörung hat (wie alle Persönlichkeitsstörungen) eine sehr hohe Komorbiditätsrate, kommt also selten bis gar nicht alleine vor. Bei der emotional instabilen Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typ wird regelmäßig mindestens eine (oder mehrere) komorbide Störung diagnostiziert, u.a.

  • Depressionen
  • Substanzmittelmissbrauch oder Abhängigkeitserkrankungen
  • Angststörungen, Angstneurosen und Phobien
  • Essstörungen (Magersucht, Bulimie, Binge-Eating)
  • Zwangsstörungen
  • Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS)
  • Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (AD(H)S)

Diese vielschichtige Symptomatik macht es schwierig, die Störung sicher zu diagnostizieren. Zahlreiche der Begleiterkrankungen können auch bei anderen Störungsbildern auftreten, die Diagnose erfordert eine umfassende Anamnese (ggf. unter Einbeziehung der Angehörigen) und sorgfältige differentialdiagnostische Abgrenzung von anderen Krankheitsbildern.

Nicht ausreichend für die Diagnostik dürften Fragebögen mit einer Selbstbeurteilungsskala (z.B. Borderline-Persönlichkeits-Inventar) sein, da im nicht-therapeutischen Kontext bei der Exploration grundsätzlich eine Manipulation durch ein sozial angepasstes bzw. erwünschtes Antwortverhalten in Betracht zu ziehen ist.

Folgen für das Strafverfahren

Die Beeinträchtigung des Selbstbildes kann zu einer verzerrten Selbstwahrnehmung und dadurch zur veränderten Wahrnehmung einer Situation führen, insbesondere im Verhältnis zu anderen Personen. Häufig anzutreffen ist die gewollte Einnahme einer Opferrolle. Diese geht zwangsläufig einher mit einer Schuldzuschreibung gegenüber anderen Personen.

Außerdem haben Zeugen vom emotional instabilen Typ häufiger als andere Zeugen einen besonderen Erinnerungsverlauf bezüglich der angezeigten Tat, beschreiben wiederentdeckte Erinnerungen und ihre Aussagen zum Delikt weisen oft Homogenitäts- und Konstanzmängel auf. Bei einer Konfrontation mit Widersprüchen bzw. unrealistischen Angaben, versuchen sie ihre dahingehend getätigten Aussagen zu korrigieren oder anzupassen, wobei sie bewusst falsche Angaben machen. Dadurch greift die in der aussagepsychologischen Begutachtung sonst gängige Grenzziehung zwischen Irrtum und Lüge nicht mehr, sondern es gibt einen „Übergangsbereich zwischen Erinnerung, bewusster Lüge und Scheinerinnerung“4, zwischen denen sich die Zeugin oder der Zeuge mehr oder weniger bewusst bewegt.

Rechtsanwalt Mirko Laudon gilt als Experte für die „Aussage gegen Aussage“ Konstellation und ist als Fachanwalt für Strafrecht und Strafverteidiger regelmäßig mit einer möglichen Persönlichkeitsstörung bei Belastungszeugen konfrontiert. Er hat seine Kanzlei in Hamburg und Berlin, übernimmt aber bundesweit die Strafverteidigung im Sexualstrafrecht, vor allem in Strafverfahren mit dem Vorwurf Vergewaltigung oder sexueller Missbrauch.

Fehlurteile im Zusammenhang mit der Borderline-Störung

In der Vergangenheit hat eine unerkannt gebliebene oder häufig unzureichend gewürdigte Borderline-Persönlichkeitsstörung zu einer ganzen Reihe an Fehlurteilen geführt. Symptome der psychiatrischen Erkrankung werden etwa als Folge der angeblichen Tat fehlinterpretiert und nicht als Ursache einer möglichen Falschaussage in Betracht gezogen. Dadurch erliegt das Gericht einem Zirkelschluss5, denn wie können diese Auffälligkeiten die Folge einer Tat sein, die es möglicherweise gar nicht gegeben hat.

Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs BGH zur Borderline-Persönlichkeitsstörung

Rechtsprechungsübersicht

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat sich in der Vergangenheit des Öfteren mit der Borderline Persönlichkeitsstörung und Fragen der Glaubwürdigkeit auseinandergesetzt.

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat sich in seiner Rechtsprechung bereits mehrfach mit der Glaubhaftigkeit von psychisch auffälligen Zeugen beschäftigt. Diesen „Auffälligkeiten“ lag regelmäßig eine emotional instabile Persönlichkeitsstörung zugrunde.

Sie haben weitere Fragen?

Dieser Text erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit und dient einer ersten Orientierung, ersetzt aber nicht die Beratung durch einen spezialisierten Rechtsanwalt und Fachanwalt.

Welche Rolle spielt Borderline im Sexualstrafrecht?

Im Sexualstrafrecht spielt Borderline vor allem eine Rolle beim Vorwurf der Vergewaltigung oder des sexuellen Missbrauchs. Hierbei steht fast immer Aussage gegen Aussage und bei psychisch auffälligen Zeugen stellt sich die Frage der Persönlichkeitsstörung vom emotional instabilen Typ, was wiederum Auswirkungen auf die Glaubwürdigkeit haben kann. Der BGH hat eine umfassende Rechtsprechung zur Glaubwürdigkeit von Betroffenen entwickelt.

Welche Rolle spielt Borderline bei einer Vergewaltigung?

Eine neue Studie (UKE Hamburg (2024), Fn. 2) legt nahe, dass Frauen mit diesem Syndrom sexuelle Handlungen teilweise anders erleben und es zu einer Wahrnehmungsverfälschung kommen kann. Dies kann zu einer Falschbeschuldigung von Sexualdelikten führen.

Warum ist Borderline bei Aussage gegen Aussage relevant?

Bei sexuellen Handlungen sind in der Regel nur zwei Personen anwesend, so dass bei der Beschuldigung einer Vergewaltigung meist „Aussage gegen Aussage“ steht, nämlich dann, wenn es auch keine anderen Sachbeweise gibt, z.B. Verletzungen, die wiederum von Erkrankten signifikant häufiger selbst beigebracht werden.

Wie merke ich, ob ein Borderliner lügt?

Wissenschaftlich anerkannt ist es nicht möglich festzustellen, ob eine Person lügt oder nicht. Die Aussagepsychologie hat komplexe Testverfahren entwickelt, um dies im Strafverfahren mit einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit feststellen zu können.

Warum ist die Glaubwürdigkeit von Borderlinern zweifelhaft?

Es gilt wissenschaftlich als belegt, dass die Wirklichkeitskontrolle bei Personen mit BPS gestört ist und „wiederentdeckte“ Erinnerungen für wahr gehalten werden. Dies hat erhebliche Auswirkungen auf die Glaubwürdigkeit bei dem Vorwurf eines sexuellen Missbrauchs, denn es bleibt fraglich, ob die Erinnerung an den möglichen Missbrauch überhaupt verlässlich ist.

  1. Daber: Untersuchungen zu Zeugen mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung und zur Qualität ihrer Aussagen zum inkriminierten Sachverhalt (2017) ↩︎
  2. Mazinan et al (2024). Borderline personality disorder and sexuality: causes and consequences of dissociative symptoms. Borderline Personality Disorder and Emotion Dysregulation. http://dx.doi.org/10.1186/s40479-024-00251-6. ↩︎
  3. Falkai/Wittchen (Hrsg.): Diagnostisches und statistisches Manual psychischer Störungen DSM-5 (2015) ↩︎
  4. Steller/Böhm: Glaubhaftigkeitsbegutachtung bei Persönlichkeitsstörungen, FPPK 2008, 101 [105] ↩︎
  5. BGH, Urteil vom 08.12.2004 – 2 StR 441/04 ↩︎

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